Obst, Gemüse, Getreideprodukte, Hülsenfrüchte und ein paar Nüsse und Samen – die vegane Ernährung ist durchaus abwechslungsreich und bietet von Natur aus proteinhaltige Lebensmittel.
Eine adäquate Proteinzufuhr (siehe Proteinbedarf) ist selbst bei rein pflanzlicher Kost durchaus problemlos. Voraussetzung: die Ernährung ist vielseitig, bunt gemischt und beinhaltet eine ausreichende Kalorienzufuhr.
Bei einseitiger und stark kalorienreduzierter Kost kann die Proteinzufuhr zum Problem werden. Wer sich nur von Obst ernährt und täglich nicht mehr als 1.000 kcal isst, wird seinen Proteinbedarf nicht einmal annähernd decken können.
Aber wäre das wirklich so schlimm? Warum sind Proteine in der Ernährung überhaupt wichtig? Und welche Folgen hat ein Proteinmangel?
Proteine stellen den Grundbaustein aller menschlicher Zellen dar. Die Bezeichnung „Proteine“ leitet sich von dem griechischen Wort prοtéios (= erstrangig) ab. Der schwedische Chemiker Jöns Jakob Berzelius schlug dem niederländischer Chemiker Gerardus Johannes Mulder bereits 1838 die Bezeichnung „Protein“ vor und betonte damit zu Recht die Wichtigkeit dieser Stoffgruppe.1 2
Bei Proteinen handelt es sich um hochmolekulare Substanzen, die aus einzelnen Aminosäuren zusammengesetzt sind. Für den Proteinaufbau stehen dem menschlichen Organismus 20 verschiedene Aminosäuren zur Verfügung. Die Aminosäuren, die als Bausteine für die Bildung von Proteinen codiert werden, bezeichnet man auch als proteinogene Aminosäuren.
Mindestens neun von diesen Aminosäuren sind für den Menschen essentiell, d.h. er muss sie mit der Nahrung aufnehmen. Zu den essentiellen Aminosäuren zählen: Histidin, Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin3.
Proteine sind die wichtigsten biochemischen Funktionsträger und aufgrund ihrer Struktur und Flexibilität an allen vitalen Prozessen beteiligt. Für die jeweilige biologische Funktion ist die Anzahl und Abfolge der Aminosäuren im Molekül bzw. die räumliche Anordnung der Proteine entscheidend.
Welche Aufgaben erfüllen Proteine im Körper?
Proteine werden vor allem für die Synthese körpereigener Proteine verwendet. Strukturproteine sind maßgeblich am Aufbau von Zellen und Geweben beteiligt und bestimmen damit letztlich die Beschaffenheit der Gewebe und des gesamten Körperbaus. Sämtliche biologische Membranen enthalten eine Proteinkomponente, die je nach Konzentration die charakteristische Funktion bedingt.
Zu den typischen Strukturproteinen zählen Kollagene in Haut, Bindegewebe und Knochen, Keratinstrukturen, wie Haare und Nägel, Mucoproteine, die im ganzen Körper vorkommen können (z.B. im Magen-Darm-Traktes, den Fortpflanzungsorganen, den Atemwegen und der Synovialflüssigkeit der Knie), sowie das Faseprotein Elastin, welches häufig in der Lunge, in der Haut und in Blutgefäßen vorkommt und diesen Elastizität und Spannkraft verleiht4.
In Form von Enzymen fungieren Proteine als Biokatalysatoren, d.h. dass sie sehr spezifische (bio)chemische Reaktionen im menschlichen Stoffwechsel ermöglichen und kontrollieren. Manche (meist kleinere Proteine) steuern als Hormone Vorgänge im Körper.
Im Muskelgewebe sind kontraktile Proteine – vor allem Myosine und Aktine, die im Wesentlichen die Muskelfasern bilden – für die Muskelkontraktion und damit für Bewegung wichtig. Proteine sind in Form von Immunglobulinen und Blutgerinnungsfaktoren auch an Schutz- und Abwehrreaktionen beteiligt5. Immunglobuline bzw. Antikörper werden als Reaktion auf bestimmte Stoffe (sog. Antigene) gebildet und stehen im Dienste des Immunsystems, dienen beispielsweise der Abwehr von Infektionen. Und als Blutgerinnungsfaktoren verhindern die Proteine einerseits einen zu starken Blutverlust bei Verletzung eines Blutgefäßes und andererseits eine erhöhte Gerinnbarkeit des Bluts mit Blockierung des Gefäßes.
Zu den Aufgaben von Plasmaproteinen – den häufigsten im Blutplasma vorkommenden Blutproteinen – zählen die Aufrechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks in menschlichen Körperflüssigkeiten und des Blut-pH-Wertes (Puffer-Funktion), sowie der Transport von wasserunlöslichen Stoffen, Hormonen und Enzymen. Plasmaproteine transportieren in Form von Transportproteinen körperwichtige Substanzen, wie z.B. Hämoglobin, das im Blut für den Sauerstofftransport zuständig ist oder Transferrin, das Eisen im Blut transportiert. Außerdem spielen Plasmaproteine eine wichtige Rolle in der Homöostase und Blutgerinnung, dem Immunsystem und im Verlauf von Entzündungen.
Obwohl Aminosäuren vor allem der Synthese von Körpereiweiß dienen, können sie auch als Energiequelle genutzt werden. 1 g Protein liefert 4,1 kcal, also genauso viel wie 1 g Kohlenhydrate und weniger als die Hälfte der Energiedichte von 1 g Fett (9,3 kcal). Im Hungerzustand kann der Körper Proteine als Reservestoff verwerten und zur Energieversorgung heranziehen. So können proteinogene Aminosäuren zu Vorstufen für die Gluconeogenese (Stoffwechselweg zur Neusynthese von Glukose) abgebaut werden. Sie sind somit glukogen und tragen zur Aufrechterhaltung des Blutzuckerspiegels bei. Werden die Aminosäuren zu Vorstufen der Ketonkörper-Synthese abgebaut, sind sie ketogen.
Aminosäuren stellen die einzige vom menschlichen Körper verwertbare Stickstoffquelle in der Nahrung dar6. Stickstoff wird von allen Lebewesen benötigt, da er Bestandteil von Aminosäuren in Proteinen, von Nukleinsäuren und anderen essentiellen chemischen Stoffen der Lebewesen ist.
Auch organischer Schwefel – ein weiteres essentielles Element lebender Zellen – wird dem Körper größtenteils über Proteine aus der Nahrung zugeführt. Er ist in den proteinogenen Aminosäuren Cystein und Methionin enthalten. Schwefelverbindungen kommen in allen Lebewesen vor und haben eine Vielzahl von Funktionen inne. So besitzt Schwefel eine sehr wichtige Funktion beim Aufbau der Grundsubstanz und damit der Stabilität des Bewegungsaparates. Außerdem ist er Bestandteil von Proteoglykanen, welche die Funktionen des Bindegewebes, wie Stabilität, Mobilität und Elastizität, erst möglich machen7.
Proteine erfüllen im Körper somit einer Reihe von elementaren Funktionen und sind zu Recht ein essentieller Nährstoff. Der große Unterschied zu Kohlenhydraten besteht darin, dass einige Aminosäuren zwingend mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Körpereigene Proteine werden ausschließlich aus den Nahrungsproteinen gebildet. Hingegen können Kohlenhydrate durch Umwandlung auch aus (glykogenen) Aminosäuren gebaut werden. Umgekehrt funktioniert das nicht. Auch Fette können aus zugeführten Kohlenhydraten gebildet werden, wobei die Fettsäuren Linolsäure und α-Linolensäure ebenfalls essentiell sind.8
Ein weiterer Unterschied: Kohlenhydrate und Fette können im Körper gespeichert werden, während es keine Depotproteine zur Energie- und Aminosäurespeicherung gibt. Zwar verfügt der Körper über gewisse Vorräte an Aminosäuren in Blut und Gewebe (Aminosäurenpool), dieser stellt jedoch keinen „Speicher“, sondern vielmehr einen durchlaufenden Posten dar, da täglich zwischen 250 und 300 g Protein umgesetzt (auf- und abgebaut) werden9.
Somit sind Proteine (neben Fetten) für die Ernährung unverzichtbar. Da im menschlichen Organismus nur ein Teil der Aminosäuren synthetisiert werden kann, müssen die übrigen (essentiellen) Aminosäuren über die Nahrung zugeführt werden. Auch wenn die vegane Ernährung i.d.R. kohlenhydratreich ist und die hohe Zufuhr an Kohlenhydraten auch durch spezielle Ernährungsformen, wie „Raw Vegan“, „Raw Till 4“, „High-Carb-Low-Fat“ bzw. „80/10/10“ popularisiert wird, bleibt festzuhalten: Proteine und Fette sind essentielle, Kohlenhydrate nicht.
Daher sollten Veganer unbedingt auf eine adäquate Protein (-und Fettzufuhr) achten und nicht extremen Diät- und Ernährungsformen folgen, die essentielle Nährstoffe radikal herunterschrauben oder nahezu gänzlich vernachlässigen.
Was passiert bei einem Proteinmangel?
Ein Proteinmangel kann vielfältige Ursachen haben. Die ungenügende Zufuhr von Nahrungsprotein und essentiellen Aminosäuren ist nur ein möglicher Grund, jedoch kommt ein ernährungsbedingter Proteinmangel in den westlichen Industrieländern nur selten – allenfalls bei Erkrankungen – auf.
In Entwicklungsländer ist er wesentlich häufiger und geht dort oft mit einer unzureichenden Kalorienzufuhr einher (Protein–energy malnutrition; PEM). Zu den Arten von PEM zählen Kwashiorkor (Mangel an essentiellen Aminosäuren), Marasmus (generelle Untererährung)
und Marasmic Kwashiorkor (Protein- und Kalorienmangel).
Weitere mögliche Ursachen für einen Proteinmangel sind: Proteinmaldigestion (unzureichenden Aufspaltung der Proteine), Aminosäuremalabsorption (mangelhafte Aufnahme von Aminosäuren), Proteinkatabolie (der Proteinabbau übersteigt die Rate der Neusynthese; z.B. bei bösartigen Tumoren und chronischen Infektionen), eine ungenügende Syntheseleistung oder gesteigerte Proteinverluste (z.B. über Niere und Darm oder durch großflächige Wunden und Verbrennungen).
Ein Proteinmangel hat ähnliche Folgen wie eine Chemotherapie mit Cytostatika (Substanzen, die das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen) oder eine Verstrahlung. In all diesen Fällen sind in erster Line die sich schnell erneuernden Gewebe betroffen.
Zu den Folgen von Proteinmangelzuständen zählen – unabhängig von der Ursache – Resorptionsstörungen der Darmschleimhaut, Ödembildung, gesteigerte Infektanfälligkeit wegen herabgesetzter Zahl der Leukozyten (weiße Blutkörperchen), gesteigerter Abbau von Gewebeproteinen mit zunehmender Einschränkung sämtlicher Körperfunktionen, sowie Geschwüre der Haut.10 11
Auch wenn ein Proteinmangel in den Entwicklungsländern und weniger hierzulande ein Hauptproblem darstellt, so ist er auch bei uns bei einem Teil der mangelernährten alten Menschen, sowie bei einigen jungen Menschen, die sich kalorienarm ernähren, zu beobachten. Die Störungen, die daraus resultieren, betreffen die Blutfunktionen inklusive der Hämopoese (Blutbildung). Da eine ausreichende Bereitstellung von Aminosäuren für die Proteinbiosynthese der Zellen nicht mehr gewährleistet ist, kommt es zu einer Störung sämtlicher anaboler Funktionen. Davon ist auch die Bildung von Transportproteinen betroffen, sodass sich langfristig eine Anämie (Blutarmut) ausbilden kann. Es entwickelt sich eine Hypalbuminämie (verminderte Konzentration des Plasmaproteins Albumin im Blutplasma), die zu Ödemen führt und die Transportleistung von endogenen (z.B. Hormonen) und exogenen Substanzen (z.B. Medikamenten) schwächt, was auch ihre Wirksamkeit beeinträchtigt.12
In Anbetracht der weitreichenden Folgen eines Proteinmangels, ist es umso wichtiger, diesem essentiellen Nährstoff eine ausreichende Beachtung in der Ernährung zu schenken. Da Veganer auf sämtliche tierischen Proteinquellen verzichten und die meisten pflanzlichen Proteine einen Mangel an einer oder mehrerer essentieller Aminosäuren aufweisen, sollten sie insbesondere auf eine adäquate Zufuhr von ausreichend Protein und aller essentieller Aminosäuren achten.
- Bannwarth, Horst; Kremer, Bruno P.; Schulz, Andreas: Basiswissen Physik, Chemie und Biochemie: Vom Atom bis zur Atmung – für Biologen, Mediziner und Pharmazeuten. Berlin Heidelberg New York: Springer-Verlag, 2013. ↵
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- Leitzmann, Claus: Ernährung in Prävention und Therapie: ein Lehrbuch ; 186 Tabellen. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2009. ↵
- Elmadfa, Ibrahim; Leitzmann, Claus: Ernährung des Menschen. Parderborn, München: UTB, 2015. ↵
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- Adolph, Michael: Ernährungsmedizin: nach dem neuen Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer ; 276 Tabellen. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2010. ↵
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- Christen, Philipp; Jaussi, Rolf: Biochemie: Eine Einführung mit 40 Lerneinheiten. Berlin Heidelberg New York: Springer-Verlag, 2006. ↵
- Niestroj, Irmgard: Praxis der Orthomolekularen Medizin: Physiologische Grundlagen. Therapie mit Mikro-Nährstoffen. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2000. ↵