Laut WHO sollte ein Erwachsener täglich 0,83 g Protein je kg Körpergewicht zu sich nehmen. Bei gewissen Personengruppen bzw. unter bestimmten Umständen kann der Bedarf höher liegen.
So können Veganer von einer etwas höheren Proteinmenge von etwa 1,0 g je kg am Tag profitieren (siehe Artikel zum Proteinbedarf).
Dabei sollten alle essentiellen Aminosäuren aufgenommen werden. Der Mensch ist – im Vergleich zu einigen Lebewesen, wie Pflanzen oder Bakterien – nicht in der Lage alle 20 für die Proteinsynthese bzw. den Proteinaufbau erforderlichen Aminosäuren selbst herzustellen. Diese Aminosäuren müssen mit der Nahrung zugeführt werden. Sie gelten daher als unentbehrlich bzw. essentiell.
Inhalt
- Tagesbedarf an Protein & essentiellen Aminosäuren bei Erwachsenen
- Semi-essentielle & nicht-essentielle Aminosäuren
- Was passiert, wenn eine essentielle Aminosäure fehlt?
- Wie decke ich meinen Aminosäurenbedarf als Veganer?
- Mengen pflanzlicher Lebensmittel, die empfohlene Mengen an essentiellen Aminosäuren liefern
Die folgende Tabelle zeigt den Tagesbedarf an essentiellen Aminosäuren laut WHO:
Tagesbedarf an Protein & essentiellen Aminosäuren bei Erwachsenen
je kg am Tag | bei 70 kg | |
---|---|---|
Durchschnittlicher Bedarf | 0,66 g | 46 g |
Empfohlene Zufuhr | 0,83 g | 58 g |
Histidin | 10 mg | 700 mg ≙ 0,7 g |
Isoleucin | 20 mg | 1.400 mg ≙ 1,4 g |
Leucin | 39 mg | 2.730 mg ≙ 2,7 g |
Lysin | 30 mg | 2.100 mg ≙ 2,1 g |
Methionin + Cystein Methionin Cystein | 15 mg 10 mg 5 mg | 1.050 mg ≙ 1,1 g 700 mg ≙ 0,7 g 350 mg ≙ 0,7 g |
Phenylalanin + Tyrosin | 25 mg | 1.750 mg ≙ 1,8 g |
Threonin | 15 mg | 1.050 mg ≙ 1,1 g |
Tryptophan | 4 mg | 280 mg ≙ 0,3 g |
Valin | 26 mg | 1.820 mg ≙ 1,8 g |
Summe essentielle Aminosäuren: | 184 mg | 12.880 mg ≙ 12,9 g |
Quelle: Joint WHO/FAO/UNU Expert Consultation. Protein and amino acid requirements in human nutrition. World Health Organ Tech Rep Ser. 2007;(935):1-265, back cover. Link (PDF)
Das Beispiel eines 70 kg schweren Erwachsenen zeigt bereits den exemplarischen Tagesbedarf an, den jeder mit seinem Körpergewicht entsprechend anpassen kann.
Zudem gäbe es keine Informationen über die Variabilität bzw. Schwankungen beim Bedarf für einzelne Aminosäuren. Die ungefähren Werte wurden unter der Annahme berechnet, dass der interindividuelle Variationskoeffizient der Aminosäure-Anforderungen der gleiche ist wie der für die Gesamtproteinzufuhr, d.h. 12%. Auf dieser Basis sind die sicheren Zufuhrmengen für die essentiellen Aminosäuren um 24% höher als die Werte für den durchschnittlichen Bedarf, wie sie in der ersten Spalte der o.g. Tabelle angegeben werden.
Semi-essentielle & nicht-essentielle Aminosäuren
Neben den neun, für den menschlichen Organismus essentiellen Aminosäuren gibt es auch semi-essentielle und nicht-essentielle Aminosäuren. Zur Proteinsynthese werden alle 20 proteinogenen Aminosäuren benötigt.
Dazu zählen auch Aminosäuren, die unter besonderen physiologischen oder pathologischen Zuständen (z.B. Frühgeburt bei Säuglingen oder Personen mit schwerer kataboler Belastung) essentiell werden können. Sechs Aminosäuren werden in der menschlichen Ernährung als bedingt essentiell oder semi-essentiell angesehen. Das sind: Cystein, Tyrosin, Glycin, Arginin, Glutamin und Prolin. Der Begriff „semi-essentiell“ ist hierbei als die Erfordernis einer Nahrungsquelle definiert, wenn die endogene (körpereigene) Synthese den metabolischen Bedarf nicht erfüllen kann.
Fünf Aminosäuren sind für den Menschen entbehrlich bzw. nicht-essentiell, da sie im Körper aus anderen Aminosäuren oder anderen komplexen stickstoffhaltigen Metaboliten (Pyruvat, Acetyl-CoA, Cytratzyklus-Zwischenprodukte) synthetisiert werden können1. Diese fünf Aminosäuren sind Asparaginsäure, Asparagin, Glutaminsäure, Alanin und Serin.2 3
Was passiert, wenn eine essentielle Aminosäure fehlt?
Der Körper benötigt eine ausgeglichene Mischung an Aminosäuren. Nur wenn sämtliche essentielle Aminosäuren zur Verfügung stehen, ist die Proteinsynthese möglich4. Liegt eine Aminosäure in zu geringem Anteil vor, werden auch die anderen Aminosäuren nicht zur Proteinsynthese genutzt, sondern in Fette und Zucker abgebaut (Desaminierung). Eine fehlende Aminosäure kann somit die komplette Proteinsynthese in der Zelle stoppen.
Wenn während der Proteinsynthese eine nicht-essentielle Aminosäure fehlt, kann die Zelle diese Aminosäure entweder selbst bauen oder von der Leber über den Blutstrom beziehen, sodass die Proteinsynthese weiterlaufen kann. Fehlt hingegen eine essentielle Aminosäure, kann der Organismus körpereigenes Protein abbauen, um die fehlende Aminosäure bereitzustellen. Ist die essentielle Aminosäure nicht verfügbar, kommt die Proteinsynthese zum Stillstand. Das teilweise vollständige Protein wird dann wieder in seine Einzelbausteine, die Aminosäuren, abgebaut, die woanders im Körper gebraucht werden.5
Daher ist eine ausreichende Zufuhr an essentiellen Aminosäuren in der (veganen) Ernährung unentbehrlich. Auch wenn die meisten pflanzlichen Lebensmittel über kein ausgewogenes – genauer gesagt dem menschlichen Aminosäurebedarf entsprechendes – Aminosäuremuster verfügen und daher auch eine schlechtere Proteinqualität haben, können sie sich in Kombination ergänzen und zu einer adäquaten Versorgung an essentiellen Aminosäuren beitragen.
Wie decke ich meinen Aminosäurenbedarf als Veganer?
„Pflanzenproteine sind ‚unvollständig‘, weil bestimmte Aminosäuren fehlen“ – Dies ist nur eine falsche Annahme, mit der so mancher Veganer konfrontiert wird. Denn in Wahrheit können auch pflanzliche Lebensmittel zu einer adäquaten Versorgung mit allen essentiellen Aminosäuren beitragen.6
Die meisten tierischen Proteinquellen werden als „vollständiges“ Protein angesehen, das sie alle neun essentiellen Aminosäuren enthalten. Und es stimmt, dass eine oder mehrere essentielle Aminosäuren in bestimmten pflanzlichen Nahrungsmitteln in geringer Menge vorkommen können. So fallen beispielsweise Bohnen, Reis, Getreide, Hülsenfrüchte (außer Soja) und Gemüse unter „unvollständige Proteinquellen“. Getreide ist generell arm an, während Hülsenfrüchte weniger Methionin im Vergleich zu „vollständigen“ Proteinquellen enthalten.
Allerdings kommt es bei in einer ausgewogenen veganen Ernährung zu einer Ergänzungswirkung, sodass die Proteine wieder vollständig werden (z.B. durch die Kombination von Reis mit Bohnen oder Erdnussbutter auf Toast). Diese Nahrungsmittel müssen nicht gleichzeitig gegessen werden, es genügt, komplementäre Proteine innerhalb eines Tages zu verzehren.7.
Der Gehalt an Protein und Aminosäuren kann durchaus variieren oder bei einigen pflanzlichen Lebensmitteln gering ausfallen. Allerdings ist keine essentielle Aminosäure in allen veganen Proteinquellen gänzlich abwesend. Im Gegenteil: fast alle veganen Proteinquellen enthalten alle essentiellen Aminosäuren8. Und nur weil einige Lebensmittel nicht ausreichend Mengen aller Aminosäuren enthalten, heißt das nicht, dass sie als Proteinquelle unbrauchbar oder „schlecht“ sind.
Würde jemand nur Brot oder Gemüse essen, würden ihm essentielle Aminosäuren fehlen. Doch wer täglich auf eine Vielzahl von Lebensmitteln zurückgreift und ausreichend Kalorien zu sich nimmt, wird seinen Protein- und Aminosäurebedarf problemlos decken können.
Die folgende Tabelle zeigt Mengen für einige vegane Lebensmittel, die bereits den Tagesbedarf an essentiellen Aminosäuren decken – und zwar nicht in Kombination, sondern einzeln. Das heißt: jedes der in der Tabellen genannten Lebensmittel, sofern in der angegebenen Menge verzehrt, würde die empfohlenen Mengen aller essentiellen Aminosäuren für einen erwachsenen (in diesem Beispiel 70 kg schweren) Mann liefern.
Mengen pflanzlicher Lebensmittel, die empfohlene Mengen an essentiellen Aminosäuren liefern
Protein | Lys | Met | Leu | Ile | Trp | Thr | Phe | Val | His | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Tagesbedarf (bei 70 kg) | 58 g | 2.100 mg | 700 mg | 2.730 mg | 1.400 mg | 280 mg | 1.050 mg | 1.750 mg | 1.820 mg | 700 mg |
1,5 kg Mais (gegart)1 | 51,2 g | 2.115 mg | 1.035 mg | 5.370 mg | 1.995 mg | 345 mg | 1.995 mg | 2.325 mg | 2.865 mg | 1.365 mg |
2,8 kg Kartoffeln2 | 57,4 g | 2.996 mg | 896 mg | 2.744 mg | 1.848 mg | 588 mg | 1.876 mg | 2.268 mg | 2.884 mg | 890 mg |
700 g Tofu3 | 56,6 g | 3.164 mg | 756 mg | 4.991 mg | 3.045 mg | 840 mg | 2.814 mg | 2.996 mg | 3.122 mg | 1.547 mg |
400 g Wildreis (roh)4 | 58,9 g | 2.516 mg | 1.752 mg | 4.072 mg | 2.472 mg | 716 mg | 1.876 mg | 2.884 mg | 3.432 mg | 1.536 mg |
900 g Erbsen (roh)5 | 48,8 g | 2.853 mg | 738 mg | 2.907 mg | 1.755 mg | 333 mg | 1.827 mg | 1.800 mg | 2.115 mg | 963 mg |
Quelle: US Department of Agriculture, Agricultural Research Service, Nutrient Data Laboratory. USDA National Nutrient Database for Standard Reference, Release 28. Version Current: September 2015, slightly revised May 2016. Internet: https://ndb.nal.usda.gov/ndb/search/list
Nachweise für die genannten Lebensmittel unter folgenden Nummern/ Bezeichnungen:
111168, Corn, sweet, yellow, cooked, boiled, drained, without salt
211352, Potatoes, flesh and skin, raw
316427, Tofu, raw, regular, prepared with calcium sulfate
420088, Wild rice, raw
511304, Peas, green, raw
Selbst wenn man sich im Extremfall nur auf eine Art von Getreide, Bohnen, Kartoffel oder Gemüse als Proteinquelle beschränken würde, könnte der Protein- und Aminosäurebedarf – sofern ausreichende Mengen verzehrt werden – erfüllt werden. Zugegeben, es wäre eine sehr eintönige Art der Ernährung, die auch das Risiko für den Mangel an anderen Nährstoffen birgt. Daher empfehlt es sich, eine Vielzahl von unraffiniertem Getreide, Hülsenfrüchten, Nüssen, Samen und Gemüse über den Tag verteilt zu essen. Auf diese Weise lässt sich der niedrige Gehalt eines Lebensmittel in einer bestimmten essentiellen Aminosäure durch ein anderes Lebensmittel ausgleichen.
Wer möchte, kann nach Ermittlung seines individuellen Tagesbedarfs überprüfen, in welchem Maße bestimmte pflanzliche Lebensmittel zur Deckung des Aminosäurebedarfs beitragen (siehe Artikel zum Aminosäuregehalt in Lebensmitteln).
Letzte Aktualisierung am 17.09.2024 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API
- Harper, Harold A. ; Martin, David W. ; Mayes, Peter A. ; Rodwell, Victor W.: Medizinische Biochemie. Berlin Heidelberg New York: Springer-Verlag, 2013. ↵
- Joint WHO/FAO/UNU Expert Consultation. Protein and amino acid requirements in human nutrition. World Health Organ Tech Rep Ser. 2007;(935):1-265, back cover. Link (PDF) ↵
- Macronutrients, A Report of the Panel on ; Intakes, Subcommittees on Upper Reference Levels of Nutrients and Interpretation and Uses of Dietary Reference ; Intakes, Standing Committee on the Scientific Evaluation of Dietary Reference ; Board, Food and Nutrition ; Medicine, Institute of: Dietary Reference Intakes for Energy, Carbohydrate, Fiber, Fat, Fatty Acids, Cholesterol, Protein, and Amino Acids (Macronutrients). Washington D.C.: National Academies Press, 2005. (PDF) ↵
- Bünte, Hermann ; Bünte, Klaus: Das Spektrum der Medizin : illustriertes Handbuch von den Grundlagen bis zur Klinik. Stuttgart: Schattauer Verlag, 2004. ↵
- Insel, Paul ; Ross, Don ; Bernstein, Melissa ; McMahon, Kimberley: Discovering Nutrition. Sudbury, MA 01776: Jones & Bartlett Publishers, 2015. ↵
- Young VR, Pellett PL. Plant proteins in relation to human protein and amino acid nutrition. Am J Clin Nutr. 1994 May;59(5 Suppl):1203S-1212S. Link ↵
- Go Ask Alice! Columbia University in the City of New York. Complete and incomplete proteins in grains and vegetables? http://goaskalice.columbia.edu/answered-questions/complete-and-incomplete-proteins-grains-and-vegetables (15.09.2017). Link ↵
- Mangels R. The Vegetarian Resource Group: Protein in the Vegan Diet. http://www.vrg.org/nutrition/protein.php (16.09.2017). Link ↵