„Veganer nehmen zu wenig Protein zu sich“, „Pflanzliche Proteinquellen sind unvollständig“ oder „Pflanzliche Proteinquellen sind schlechter als tierische Quellen“ – Veganer sehen sich hinsichtlich der Proteinversorgung häufig mit einer Vielzahl an Mythen und Vorurteilen konfrontiert.
Proteine – genauer gesagt ihre Bausteine, die Aminosäuren – sind wichtig, da einige von ihnen essentiell sind. Das bedeutet, dass der Körper sie nicht selbst (aus anderen Nahrungsbestandteilen) aufbauen kann. Essentielle Aminosäuren müssen also mit der Nahrung zugeführt werden.
Beim proteinreichen oder eiweißreichen Lebensmitteln kommen den meisten von uns wahrscheinlich zuerst tierische Produkte in den Sinn. Fleisch, Fisch, Eier, Milch, Käse oder Quark gelten als DIE Proteinlieferanten schlechthin. Das stimmt auch. Diese tierischen Lebensmittel enthalten tatsächlich einen hohen Gehalt an Eiweiß. Doch was ist, wenn man in seiner Ernährung bewusst auf diese Proteinquellen verzichtet?
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Bleiben Veganer jetzt auf der Strecke?
Die kurze Antwort lautet beruhigenderweise: Nein.
Die etwas längere Antwort folgt prompt. Die vegane Ernährung zeichnet sich durch einen gänzlichen Verzicht auf Nahrungsmittel tierischen Ursprungs aus. Dazu zählen neben Klassikern, wie Fleisch und Geflügel, Fisch und Meerestieren, sowie Milch und Milchprodukten z.B. auch Gelatine und Honig.
Mit anderen Worten: die bekannten (tierischen) Proteinlieferanten fallen in der veganen Ernährung komplett weg. Und nun? Ist das ein Grund, sich Sorgen zu machen? Nicht wirklich. Das Bild eines mageren, unterversorgten Hippies ist zwar leider nach wie vor in den Köpfen einiger „Fleischfresser“ als Inbegriff des Veganismus verankert; doch immerhin gibt es mittlerweile auch eine Gegenbewegung, die zeigt, dass Veganer durchaus muskulös und fit sein können.
Ohne eine ausreichende Proteinversorgung wäre das kaum möglich. Die Vorstellung, dass bestimmte essentielle Nährstoffe (z.B. Aminosäuren) nur in tierischen Lebensmitteln enthalten seien – und Veganer folglich leer ausgehen –, darf somit in die Rubrik „Vegan-Mythen“ eingeordnet werden.
Auch die Annahme, dass sich der Tagesbedarf an Protein nicht ausschließlich durch pflanzliche Proteinquellen decken lässt, ist bei einer gut aufgestellten veganen Ernährung nicht haltbar.
Woher bekommen Veganer ihre Proteine?
Wer sich vegan ernährt muss keinesfalls zwangsweise auf Nahrungsergänzungen, wie Proteinpulver zurückgreifen, um eine adäquate Proteinversorgung zu erzielen. Auch pflanzliche Lebensmittel enthalten Proteine und liefern – einzeln oder in Kombination – alle essentiellen Aminosäuren, die der Organismus benötigt.
Sojabohnen und Sojaprodukte, wie Tofu, Edamame, Natto, Tempeh, Sojaquark, Sojajoghurt oder Sojamilch, enthalten z.T. beachtliche Mengen an pflanzlichem Protein in hoher Qualität. Sojaprotein gilt unter den Pflanzenproteinen als „vollständig“, da es alle essentiellen Aminosäuren in einer für den menschlichen Bedarf adäquaten Menge enthält.
Auch Hülsenfrüchte, darunter Erbsen, Bohnen und Linsen, sind reich an pflanzlichen Protein und dürfen im veganen Speiseplan nicht fehlen. Bei Kichererbsen, grünen Erbsen, Kidneybohnen, weißen Bohnen, Tigerbohnen und allerlei bunten Linsensorten ist für reichlich Abwechslung gesorgt.
Getreide und Getreideprodukte tragen ebenfalls zur Proteinversorgung bei. Dazu zählen glutenhaltige Getreidesorten, wie Dinkel, Weizen, Kamut, Emmer, Einkorn, Hartweizen, Roggen, Hafer und Gerste, sowie glutenfreie Getreide, wie Mais, Reis, Hirse und Teff aber auch die Pseudogetreide-Sorten Quinoa, Amarant und Buchweizen. Neben Soja gilt auch Quinoa aufgrund seines ausgewogenen Aminosäure-Profils als „komplettes“ Protein.
Nüsse und Samen sind nicht nur hervorragende Fettquellen, sie liefern auch reichlich pflanzliche Proteine. Ein paar Walnüsse oder Mandeln sind ein idealer Protein-Snack für Zwischendurch. Nussbutter und Nussmus schmeckt als Brotaufstrich ebenso gut wie in Soßen. Und Hanfsamen, Leinsamen oder Chiasamen peppen Müsli, Porridge oder Joghurt mit einer Extra-Portion Protein auf.
Und wer hätte es gedacht? Selbst „Grünzeug“ kann zur Proteinversorgung beitragen. Insbesondere grüne Gemüsesorten, wie Spinat, Brokkoli, Grünkohl, Artischocken, aber auch Sprossen und Pilze stellen eine kalorienarme Möglichkeit zur Proteinaufnahme dar.
Ebenfalls Bestandteil einer veganen Ernährung sind Früchte und Kakaoprodukte, wie z.B. Kakaopulver und vegane Schokolade. Obst liefert zwar weitaus weniger Protein als die meisten Gemüsesorten, ist aber dennoch nicht proteinfrei. Dasselbe gilt für Kakaoprodukte, die je 100 g sogar einen recht beachtlichen Proteingehalt aufweisen können, für gewöhnlich jedoch nur in geringen Mengen verzehrt werden.
Dennoch kann der regelmäßige Verzehr von Obst und Produkten aus der Kakaobohne zur Proteinversorgung bei veganer Ernährung beitragen – auch wenn beide nicht zu den besten veganen Proteinquellen zählen.
Eine vielseitige und abwechslungreiche Ernährung ist für Veganer besonders wichtig. Warum? Weil es den meisten pflanzlichen Proteinquellen (abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie Soja oder Quinoa) an einer oder mehreren essentiellen Aminosäuren mangelt.
Haben pflanzliche Proteine eine „schlechtere“ Qualität?
Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst den Begriff „Proteinqualität“ definieren. Die Proteinqualität beschreibt die Verdaulichkeit und Menge an essentiellen Aminosäuren zur Bereitstellung von Protein in einem für den menschlichen Bedarf richtigen Verhältnis.
Es gibt verschiedene Methoden, die die Qualität der verschiedenen Arten von Protein bewerten, von denen einige veraltet und nicht mehr in Gebrauch sind oder sich nicht als derart nützlich herausgestellt haben, wie einst angenommen.
Beispielsweise wird die Biologische Wertigkeit in vielen Büchern und Artikeln zur Bewertung der Proteinqualiät herangezogen. Diese Methode ist ein Maß dafür, zu welchem Anteil das absorbierte Protein aus einer Nahrung zu körpereigenem Protein umgesetzt werden kann. Jedoch berücksichtigt die Biologische Wertigkeit nicht, wie leicht das Protein verdaut und (zum Großteil im Dünndarm) absorbiert werden kann.
Daher gilt der Protein Digestibility Corrected Amino Acid Score (PDCAAS) als derzeitiger Protein-Ranking-Standard. Bei dieser Messmethode handelt es sich um einen um die Proteinverdaulichkeit korrigierten Aminosäure-Score.
Der Aminosäure-Score bzw. Aminosäure-Index wiederum erlaubt eine chemische Beurteilung der Qualität von Nahrungsproteinen, sowie die Bestimmung der limitierenden Aminosäure eines zu beurteilenden Proteins. Die limitierende Aminosäure ist die Aminosäure, die bezogen auf den menschlichen Bedarf am wenigsten im Testprotein enthalten ist. Sie begrenzt somit die körpereigene Proteinsynthese.
In Kombination mit der (faecalen) Proteinverdaulichkeit ergibt sich der PDCAAS. Mittlerweile gibt es auch eine neuere Methode – den Digestible Indispensable Amino Acid Score (DIAAS) –, welcher den PDCAAS ersetzen soll. Der DIAAS basiert nicht auf der faecalen, sondern auf der ilealen Verdaulichkeit der Aminosäuren (Ileum von lateinisch ile ‚Darm‘) und berücksichtigt auch Anti-Nährstoff-Faktoren, die die Absorption von Protein unter anderen Nährstoffen einschränken.
Ob Biologische Wertigkeit, PDCAAS oder DIAAS – Rankings zur Bewertung der Proteinqualität gibt es viele. Auch führen verschiedene Methoden zu unterschiedlichen Ergebnissen. Grundsätzlich schneiden pflanzliche Proteine bei solchen Rankings „schlechter“ ab als tierische Proteinquellen.
Grund hierfür ist, dass tierische Proteine den menschlichen Aminosäure-Bedürfnissen besser entsprechen, als Pflanzenproteine. Doch auch hier gibt es je nach Ranking Unterschiede. So weist beispielsweise Sojaprotein im PDCAAS dieselbe (hohe) Wertigkeit auf, wie Eier und Milch.
Zudem sollte man solche Rankings niemals isoliert betrachten, da eine abwechslungreiche vegane Ernährung durchaus zu einer Aufwertung der Proteinqualität führt. Haben pflanzliche Proteine nun eine „schlechtere“ Qualität? Wenn es nach einigen Rankings und Bewertungsmethoden geht: Ja. Aber nur, weil es ihnen an einer oder mehreren essentiellen Aminosäuren mangelt (nicht fehlt!).
Keine essentielle Aminosäure ist in pflanzlichen Proteinquellen gänzlich abwesend. Auch wenn ein bestimmtes pflanzliches Lebensmittel aufgrund des geringen Gehalts einer essentiellen Aminosäure auf den ersten Blick eine „schlechtere“ Qualität (im Vergleich zu tierischen Proteinquellen) aufweist, so ist es deswegen nicht gleich „minderwertig“ oder „unvollständig“.
Aminosäure-Puzzle oder „Der Mix macht´s“
Ein Mix aus verschiedenen pflanzlichen Proteinen kann durchaus als vollständige und ausgewogene Quelle aller Aminosäuren dienen, die den menschlichen physiologischen Anforderungen effektiv entspricht.
Man kann sich das wie ein Puzzle vorstellen. Tierische Proteinquellen enthalten bereits alle für das Puzzle benötigten Teile in einem Karton. Bei pflanzlichen Proteinquellen sind die Puzzleteile auf mehrere Kartons verteilt. Die zweite Konstellation ist deswegen nicht „unvollständig“, da auch hier alle benötigten Teile zur Fertigstellung des Puzzles vorliegen. Man muss hier nur mehrere Quellen „anzapfen“.
Ähnlich sieht es bei pflanzlichen Proteinen aus. Einige Pflanzenproteine können zwar einen niedrigen Gehalt an bestimmten Aminosäuren aufweisen, dieser lässt sich jedoch mit anderen Quellen ausgleichen. Die Proteinqualität in einer veganen Ernährung hängt somit sowohl von der Proteinquelle, als auch von der Mischung bzw. dem gesamten Speiseplan ab.
Unterm Strich die Qualität von pflanzlichen Proteinquellen äquivalent zu hochwertigen tierischen Proteinen sein. Rankings zur Proteinqualität einzelner Lebensmittel sind hier oft irreführend, da sie meist nur einzelne Lebensmittel und keine Kombinationen bzw. die Gesamternährung beurteilen.
Da Veganer mit tierischen Produkten eine komplette Nahrungsmittel-Gruppe und einen wichtigen Proteinlieferanten ausschließen, müssen sie besonders gut auf die Zusammenstellung ihrer Ernährung achten. Aber keine Sorge: die Auswahl an veganen Proteinquellen ist groß und führt in der Mischung zu einer Ergänzungswirkung.
Damit kann eine Mix aus Pflanzenproteinen die menschlichen Protein- und Aminosäure-Anforderungen vollkommen ausreichend erfüllen.
Welche Vorteile haben vegane Proteinquellen?
Man muss nicht Veganer sein, um von veganen Proteinquellen zu profitieren. Viele tierische Proteinquellen enthalten hohe Mengen an gesättigten Fettsäuren und Cholesterol. Fleisch, Fisch, Eier & Co. sind in hochwertiger Qualität auch nicht besonders günstig.
Hier punkten vegane Proteinquellen mit einem niedrigen Gehalt an Fett und einem hohen Gehalt an Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen. Zwar wird mit (speziellen) veganen Lebensmittel mittlerweile auch viel Geld gescheffelt, doch niemand muss zum teuren Veggie-Schnitzel greifen, um Protein aufzunehmen. Auch Bohnen und Reis sind – insbesondere in Kombination – gute Proteinlieferanten, die zum kleinen Preis erhältlich sind.
Das soll nicht heißen, dass man tierische Lebensmittel generell meiden sollte. Auch sie haben ihre Vorteile und enthalten z.B. größere Mengen an Vitamin B12, Vitamin D, der Omega-3-Fettsäure DHA, Häm-Eisen und Zink. Dennoch lohnt es sich, pflanzliche Proteine als Alterative oder Ergänzung in der Ernährung zu berücksichtigen und bei tierischen Proteinquellen bevorzugt zu unverarbeiteten Produkten zu greifen.
Pflanzliche Proteinquellen stehen im Zusammenhang mit einer Vielzahl an gesundheitlichen Vorteilen, u.a. auf das Körpergewicht, den Cholesterolspiegel und den Blutdruck. Eine Ernährung, die reich an pflanzlichen Proteinen ist, wird zudem mit einem niedrigeren Risiko von Herzerkrankungen, Diabetes und Fettleibigkeit assoziert. Dies kann auch durch den oft generell gesunden Lebensstil von Vegetariern und Veganern erklärt werden.
Auch einige tierische Proteinquellen (z.B. fettreicher Fisch, mageres Fleisch und Geflügel) können zu positiven gesundheitlichen Effekten, wie einem reduzierten Risiko für Herzerkrankungen, einem verbesserten Cholesterinspiegel, Gewichtsverlust und erhöhter Muskelmasse beitragen. Es geht also nicht um die Frage: welches ist das „bessere“ oder „gesündere“ Protein. Sowohl tierische, als auch pflanzliche Proteine können durchaus gesund und wertvoll für die Ernährung sein.
Vielmehr geht es um die Frage, wie man die Vorteile beider Proteinquellen optimal in seiner Ernährung nutzen kann. Für Fleischesser wäre es wichtig, die richtige Balance zwischen tierischen und pflanzlichen Proteinen herzustellen (beispielsweise mit einer pflanzenbasierten Ernährung mit einigen tierischen Quellen, wie weidegefüttertem Fleisch, Fisch, Geflügel, Eiern und Milchprodukten).
Vegetarier und Veganer sollten eine Vielzahl von Lebensmitteln essen, um sicherzustellen, dass sie alle Aminosäuren zuführen, die sie benötigen. Jeder kann von veganen Proteinquellen profitieren.